...das gilt auch für die viel gepriesenen
Sprühhalsbänder, die in verschiedenen
Ausführungen den Markt erobert haben. Spätestens
seit uns Hundenanny Katja Geb-Mann allwöchentlich
im deutschen Fernsehen vorführt, wie jeder
Hund, ganz gleich welches Problem er seinen Haltern
vermeintlich oder tatsächlich bereitet, mit
Einsatz einer Fernbedienung in das Verhalten gepresst
werden kann, das Herrchen oder Frauchen beliebt,
finden die Halsbänder, die einen angeblich
völlig harmlosen Spraystoß von sich geben,
steigenden Absatz.
Doch schon der gesunde Menschenverstand lässt
einen aufhorchen, wenn Hersteller und Anwender behaupten,
dass der jederzeit auszulösende Sprühstoß
für den Hund "gar nicht schlimm"
sei. Da fragt man sich doch selbst nach nur kurzem
Nachdenken, wie es denn möglich sein soll,
instinktive, genetisch fixierte Verhaltensweisen
wie zum Beispiel das Jagdverhalten durch etwas zu
unterdrücken, das dem Hund gar nichts ausmacht?!
Dem Hundehalter wird generös angeboten, das
Gerät doch selbst mal in die Hand zu nehmen
oder um den Hals zu legen, während der Trainer
den Auslöser betätigt... und tatsächlich,
so schlimm war das doch gar nicht. Ein kurzes "Zischhhh"
mit etwas feucht-kalter Luft. "Ja", bestätigt
der überzeugte Hundehalter, "das war gar
nicht schlimm." Was Hersteller und Trainer
jedoch geflissentlich verschweigen (aus Unwissenheit
oder in betrügerischer Absicht?!), ist die
Tatsache, dass plötzlich auftretende, nicht
eindeutig zuzuordnende Zischlaute beim Hund als
Angst auslösende, sogar lebensbedrohliche Laute
abgespeichert sind, bei denen sofort die Flucht
ergriffen werden muss. Jeder kennt den Anblick eines
Hundes, der sich selbst im Körbchen `zig mal
um die eigene Achse dreht, bevor er sich schließlich
gemütlich niederlegt. Es handelt sich bei dieser
Verhaltensweise um ein Erbe aus den Zeiten, in denen
der Hund noch weitgehend draußen in Freiheit
lebte. Bevor er sich hinlegte, drehte er sich mehrfach
im Gras oder Laub, um die ausgesuchte Liegestelle
als ungefährlich abzusichern. Sollte beim Drehen
ein Zischlaut (zum Beispiel von einer Schlange)
zu hören sein, würde er sich durch einen
Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. Biologisch
sinnvoll... und diesen genetisch fixierten, Angst
auslösenden Zischlaut bringen wir Menschen
nun in den unmittelbaren Kopfbereich des Hundes!
Und drücken vielleicht gleich mehrfach das
Auslöseknöpfchen, worauf der Hund ganz
leicht nicht nur in Angst, sondern sogar in Panik
versetzt werden kann - ohne die Möglichkeit,
sich durch die Flucht zur retten!
Eigentlich ist dieser Umstand allein schon Grund
genug, niemals zu erlauben, dass einem uns anvertrauten
Lebewesen ein solches Gerät angetan (im wahrsten
Sinne des Wortes!) wird. Es gibt aber noch mehr
Probleme:
Der Hund weiß nie, wann und vor allem warum
der Sprühstop ausgelöst wird, befindet
sich also in ständiger Erwartungsunsicherheit.
Wer wissen möchte, wie sich das anfühlt,
dem empfehle ich folgendes Eigenexperiment, das
nicht in Anwesenheit eines Hundes durchgeführt
werden sollte, damit dieser nicht unnötig verunsichert
wird: Bitten Sie ein Familienmitglied oder einen
Freund, Sie wirklich stark zu erschrecken, zum Beispiel
durch einen lauten Schrei oder dadurch, dass er
plötzlich die Stereoanlage zu voller Lautstärke
aufdreht oder zwei Töpfe aufeinander schlägt,
wenn Sie gerade überhaupt nicht damit rechnen,
sich zum Beispiel entspannt im Sessel zurücklehnen
oder gerade mit Freunden Karten spielen. Das Experiment
sollte mindestens mehrere Stunden, am besten ein
oder zwei Tage dauern und der Schreckreiz sollte
in dieser Zeit mehrfach ausgelöst werden -
ohne dass Sie wissen, wann dies sein wird. Sie werden
merken, dass der eigentliche Reiz, wenn er dann
endlich auftritt, bei weitem nicht so schlimm zu
ertragen ist, wie die zermürbende Warterei
auf ihn. Obwohl man ihn fürchtet, wünscht
man ihn schon beinahe herbei in der Hoffnung, dann
wieder eine Weile Ruhe zu haben, was aber nicht
so ist, da er kurz nach dem Auftreten ein zweites
oder drittes Mal ausgelöst wird und dann wieder
stundenlang gar nicht, ganz wie es Ihrem Helfer
beliebt. Keine angenehme Vorstellung, nicht wahr?!
Aber es gibt noch weitere Probleme. Gleich mehrere
ergeben sich aus der Tatsache, dass Hunde über
gedankliche Verknüpfung lernen. Trägt
der Hund das Halsband und erhält den Sprühstoß,
wenn er zum Beispiel auf mehrfachen Zuruf nicht
kommt, so möchte der Mensch ihm damit zeigen,
dass er dafür mit Schreckreiz bestraft wird,
dass er ungehorsam ist. Es kann aber gut sein, dass
er in genau diesem Moment zu einem kleinen Kind,
einem Jogger oder einem anderen Hund schaut - und
den Strafreiz damit verbindet. Das Ergebnis ist
dann ein Hund, der noch immer nicht besser auf Abruf
reagiert, dafür aber Ängste, evtl. sogar
durch die Angst ausgelöste Aggressionen, gegen
das entwickelt, was er gerade sah. Die Hundehalter
sind dann ratlos, weil ihr Hund "plötzlich"
kleine Kinder meidet oder Jogger anknurrt, mit denen
er doch bisher bestens auskam. Viele solcher Beispiele
finden sich in meiner Hundeschule ein, erst kürzlich
ein Rodesian Ridgeback Rüde, dessen Sprühhalsband
immer ausgelöst wurde, wenn er zum Wildern
durchbrennen wollte. Bei diesen Spaziergängen
war allerdings auch immer seine Gefährtin,
der Zweithund der Familie, anwesend. Die Halter
kamen nun nicht wegen des unerwünschten Jagdverhaltens
zu mir in die Hundeschule, mit dem sie sich inzwischen
abgefunden hatten, sondern weil der Rüde seit
Wochen die Nähe der Hündin mied. Immer
wenn diese den Raum betrat oder sich, so wie früher,
zu ihm kuscheln wollte, verließ er mit ängstlichem
Gesichtsausdruck das Zimmer und das konnte man sich
nicht erklären... Was hatte man diesen beiden
Hunden angetan! Welche Gefühle wurden in den
Tieren ausgelöst?! Der Rüde hatte nun
Angst vor seiner Gefährtin, die er früher
heiß und innig liebte, während diese
nicht verstehen konnte, weshalb er, der vorher immer
leidenschaftlich mit ihr spielte und tobte, sie
jetzt mied. Die gleiche Trainerin, die den Einsatz
des Sprühhalsbandes empfohlen hatte, empfahl
jetzt übrigens, einen der Hunde abzugeben,
weil die Tiere sich unterschiedlich entwickelt hätten
und einfach nicht mehr gut zueinander passen würden.
Die Ängste des Rüden erklärte sie
über die angeblich dominante Ausstrahlung der
Hündin. Man könnte weinen, wenn Hunden
mit einem solchen Schicksal gegenüber steht
- oder es packt einen einfach nur die Wut.
Die Probleme gehen noch weiter, denn nichts generalisiert
sich bei Hunden so schnell, wie Geräuschangst.
Nicht nur dieser Rüde, sondern auch zahlreiche
andere Hunde entwickeln nach Einsatz des Sprühhalsbandes
Ängste vor allen möglichen Geräuschen.
Das Öffnen einer kohlsäurehaltigen Getränkeflasche,
das Zischen von heißem Fett in der Pfanne,
Knall- und Schussgeräusche, die dem Hund vorher
egal waren, versetzen ihn jetzt in Angst und Schrecken.
Der oben erwähnte Ridgeback Rüde zum Beispiel
verzog sich mit eingezogener Rute unter den Tisch
des Besprechungsraums, als ich eine Wasserflasche
öffnete. Dies tat ich nicht, weil ich Durst
hatte - trauriger Weise gehört es inzwischen
schon fast zum Standardprogramm beim ersten Kennenlernen
und Analysieren eines mir vorgestellten Hundes auszutesten,
ob er schon mit Sprühhalsband gearbeitet wurde
und welche Wunden dies an seiner Seele hinterlassen
hat. Die Halterin war auch sehr erstaunt, als ich
ihr nach dem "Flaschentest" auf den Kopf
zusagte, dass an ihrem Hund sicher schon mit Sprühhalsband
gearbeitet worden war. Das wollte sie mir eigentlich
gar nicht erzählen, weil sie schon gehört
hatte, dass ich gegen den Einsatz dieser Geräte
bin. Nachdem ich sie auf die Reaktion ihres Hundes
hingewiesen hatte, war sie sehr betroffen. Und wütend,
nachdem ich ihr erklärte, weshalb ihr Rüde
jetzt Angst vor der Hündin und vor allen möglichen
Geräuschen hatte. Wütend auf die Trainerin,
die sie auf diese "unerwünschten Nebenwirkungen"
nicht aufmerksam gemacht, sondern immer erklärt
hatte, wie harmlos der Einsatz des Gerätes
sei. Für mich stellt sich die Frage, ob Kollegen,
die es einsetzen, um diese Nebenwirkungen nicht
wissen, oder ob sie diese bewusst verschweigen,
weil kaum jemand bereit wäre, den Einsatz zu
erlauben, wenn sie bekannt wären. Und ich stelle
mir die Frage, was von beiden eigentlich schlimmer
ist...
Last not least gibt es Probleme mit der Technik.
Es soll schon vorgekommen sein, dass das Gerät
durch andere Funkfrequenzen oder sogar die Fernbedienung
eines in der Nähe befindlichen Halsbandes an
einem anderen Hund ausgelöst wurde. Der Strafreiz
wird dann also einem Hund verabreicht, der einfach
nur herumsteht oder gerade spielt oder sonst etwas
tut. Das steigert die Erwartungsunsicherheit natürlich
noch mehr und erhöht die Trefferquote auf Fehlverknüpfungen
immens. Zusätzlich löst es nicht immer
zuverlässig aus, kann zum Beispiel durch Wetterlagen
mit feuchter Luft (Nebel, Regen) verzögert
oder gar nicht reagieren. Schließlich zeigt
es auch nicht an, wann die Batterie leer ist, wodurch
es passieren kann, dass der Auslöser gedrückt
wird und nichts geschieht. Dann käme man durch
das Ausbleiben des Strafreizes (wenn der Hund denn
überhaupt verstanden hätte, wofür
er eigentlich bestraft werden soll) in den Bereich
der variablen Bestätigung, was das unerwünschte
Verhalten sogar noch verstärkt. Der Hund würde
nämlich lernen, dass er das Verhalten nur immer
wieder zeigen muss, bis er schließlich wieder
zum Erfolg (in diesem Fall das Ausbleiben des Strafreizes
und die erfolgreiche Durchführung des Verhaltens)
kommt.
Man kann es also drehen und wenden, wie man will:
Sprühhalsbänder sind ganz und gar nicht
harmlos, im Gegenteil sogar sehr gefährlich.
Manche Hunde werden durch sie so verunsichert, dass
sie in die so genannte erlernte Hilflosigkeit fallen,
was zur Folge hat, dass sie kaum noch Aktionen zeigen
oder Handlungen anbieten, weil sie in ständiger
Angst vor dem für sie unkalkulierbaren Strafreiz
leben. Um diesen Tieren - und ihren verzweifelten
Haltern - zu helfen, braucht es ein meist lang angelegtes,
gut durchdachtes Training, das den Hund aus dieser
erlernten Hilflosigkeit und seinen vielfältigen
Ängsten wieder herausholt.
Sprühhalsbänder gaukeln dem Hundehalter
vor, mal eben schnell per Fernbedienung eine Lösung
für vermeintliche oder tatsächlich entstandene
Probleme zu haben. Aber so einfach ist das nicht.
Hunde sind uns anvertraute, fühlende und denkende
Lebewesen, die nicht beliebig manipulierbar sind
und deren Lernverhalten sich von dem unseren ganz
erheblich unterscheidet. Ich kann deshalb nur dringend
empfehlen, jeden Ausrüstungsgegenstand und
jede Methode, der/ die durch Hersteller oder Trainer
empfohlen wird, vor Anwendung am Hund genau zu prüfen,
sich gut zu informieren und im Zweifelsfall nach
dem guten alten Motto zu entscheiden, das auch für
unsere Hunde gelten sollte: Was Du nicht willst,
das man Dir tu, das füg auch keinem anderen
zu.
© Clarissa v. Reinhardt
animal learn
P.S.: Hiermit lade ich alle Hundefreunde
ein, bei der Verbreitung dieses Textes zu helfen.
Ich erlaube als Autorin ausdrücklich, ihn (vollständig
und unverändert und unter Nennung der Quelle)
auf anderen Homepages zu veröffentlichen, auszudrucken
und zu verteilen oder auf ihn hinzuweisen. Je mehr
Menschen um die Tücken und Gefahren des Sprühhalsbandes
wissen, je mehr Hunden bleibt dessen Anwendung -
hoffentlich - erspart. Ein herzliches DANKE an jeden,
der diesen Text weiter gibt.
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